Wahrscheinlich schweren Herzens wurde am Vormittag entschieden, das Fest nicht um den Pavillon oben im Alten Botanischen Garten stattfinden zu lassen, sondern wegen des erheblich kühleren und unbeständigen Wetters im Literaturhaus. Jede Entscheidung hat zwei Seiten: Einerseits brauchten wir nicht so viel hoch und runter zu schleppen, andererseits wurde es naturgemäß rappeldickevoll. Nur auf dem Rasen vor dem Haus saßen die Zuhörer locker unter dem weißen Zeltdach, später mit Decken. Mit großer Anteilnahme verfolgten alle die Gespräche und Lesungen des Abends, moderiert von Sara Dusanic: Lizzie Doron, Jörg Armbruster und Norbert Gstrein.
Der Freundeskreis war wie immer mit der Erstellung eines Büfetts sowie dem Verkauf von Getränken und Fingerfood engagiert. Es gab auch israelische Rezepte! Wir bedanken uns sehr herzlich bei Karin Bündgens für die Organisation und für die Beiträge bei Heike Bunzen, Brigitte Drews, Nana Fahl, Anne Hansen, Lydia und D. Heil, Ulla Klosa, Jutta Kürtz, Maren Nielsen, Gisbert Osmy, Marianne Recknagel, Frau Schünemann, Romy Steinriede, Mücke Voss, Ute Zopf.
Am 3. Juni 2018 feierten wir mit einem ‚Frühstück im Frühling‘ unser Jubiläum, das sich an diesem Tage jährte. Dieses wunderbare zeitliche Zusammentreffen erfuhren wir aus dem Brief eines der Gründungsmitglieder, Frau Bärbel Reetz, der von den drei Gestalterinnen des Festes: Frau Dr. Gisela Beissenhirtz, Nana Fahl und Mücke Voss verlesen wurde. Zudem gab es ein interessantes Podiumsgespräch von Frau Dr. Gisela Beissenhirtz mit Herrn Dr. Sandfuchs, aus dem wir einiges über die vergangenen 20 Jahre hörten. An den Wänden hingen Fotos, Texte und Grafiken, die eindrucksvoll die Arbeit des Freundeskreises belegten – zusammengestellt von Brigitte Drews, Regina Gehrts, Gisbert Osmy und Ute Zopf. Das eigentliche Frühstück wurde unter der Regie von Karin Bündgens mit Hilfe von Nana Fahl, Heike Bunzen, Regina Gehrts, Illa Feldmann, Angelika Faust und Ilona Osmy vorbereitet und war köstlich. Den festlichen Rahmen bereitete uns ein Geiger, Herr Wanger, dessen Beitrag von den drei ehemaligen Vorstandsmitgliedern, Dr. Gisela Beissenhirtz, Nana Fahl und Mücke Voss gestiftet wurde. Nils Aulike verlas zum Schluss der Veranstaltung ein literarisches Rätsel, das zum Nachdenken und zum Schmunzeln (wenn man es denn gelöst hatte) anregte.
Klick. Klack. Klick. Klack.
Er seufzte.
Klick. Klack. Klick.
Er ließ er den Kugelschreiber mit rhythmischem Klickern über die Schreibtischplatte wandern. Die silberne Spitze bohrte sich in das weiche Holz, wo es einen hässlichen Abdruck hinterließ, um sich gleich darauf wieder in das abgegriffene Plastikgehäuse zurückzuziehen. Klick. Klack. Wie hypnotisiert beobachtete er dieses Spiel, wieder und wieder. Bald war sein ganzer Tisch schmutzig, lediglich ein blütenweißes Blatt Papier lag unberührt vor ihm. Er seufzte abermals. Er wollte doch schreiben, ja, musste es sogar. Doch er konnte nicht.
Ein letztes Klicken verhallte im Zimmer. Er ließ den Stift leidenschaftslos auf die Tischplatte fallen, schüttelte eine verkrampfte Hand und schaute sich um. Eigentlich hätte sein Schreibzimmer so wunderbar sein können: die Werke bedeutender Vorfahren reihten sich in deckenhohen Regalen aneinander, edelstes Papier stapelte sich in den Schubladen seines antiken Schreibtischs, eine Katze schlief friedlich in ihrem Körbchen und weißgetünchte Sprossenfenster gaben den Blick auf einen prächtigen Garten frei. Inmitten dieser Idylle fühlte er sich furchtbar fehl am Platz. Denn das Wesentliche im Dasein eines Schriftstellers fehlte ihm: die Inspiration. An manchen Tagen traf sie ihn wie der Blitz, beim Frühstück, unter der Dusche, im Schlaf. Dann eilte er meist in sein Schreibzimmer und tauchte für einige Stunden in die von ihm erschaffene Welt ein. Doch heute? Er lauerte förmlich darauf von der Welle übermannt zu werden, dem vertrauten, unbestimmten Gefühl, etwas in sich zu tragen, das nur darauf wartet, endlich in Worte gefasst zu werden. Doch so sehr er auch hoffte, es geschah nichts. Die Leere, die auf dem Blatt Papier vor ihm herrschte, schien die Kontrolle über sein Innenleben übernommen zu haben. Und was brachte ihm ein vollgestopftes Bücherregal, wenn keines der Werke von ihm stammte. Er stand auf, streckte sich und stellte sich ans Fenster. Es war ein warmer Frühlingstag und die ersten Blumen reckten ihre farbenfrohen Blüten gen Himmel und bemühten sich, einen Sonnenstrahl zu erhaschen. Die Wärme, die nach dem langen Winter nun endlich im Land Einzug hielt, hauchte der Natur neues Leben ein. Einhauchen, murmelte er. „Inspirare“, auf Lateinisch. Da wusste er, dass er – in diesen Raum eingesperrt – lange auf die Inspiration warten konnte. Wenn sie nicht zum ihm kam, musste er eben zu ihr.
Der frische Duft nach Frühling stieg ihm in die Nase, kaum, dass er einen Schritt in den Garten gesetzt hatte. Die ersten Blätter, noch vom Morgentau überzogen, schimmerten in sattem Grün. Er meinte förmlich zu spüren, wie eine imaginäre Last von seinen Schultern fiel. Langsam setzte er sich in einem Liegestuhl und ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen. Das Vogelgezwitscher um ihn herum, der beinahe kitschige Frieden, war wie Balsam für seine Seele. Es konnte nicht mehr lange dauern, dessen war er sich sicher. „Schreibst du heute denn gar nicht?“, sagte da eine Stimme neben ihm. Er öffnete erst ein, dann beide Augen, neigte den Kopf etwas nach unten und schaute geradewegs in ein ihm vertrautes Gesicht. Eine Blume reckte ihm ihren Kopf entgegen und wiederholte ihre Frage: „Musst du denn heute gar nicht schreiben?“ Es wunderte ihn nicht im Geringsten, dass eine Blume zu ihm sprach. Ganz im Gegenteil: es hätte ihn viel mehr erstaunt, wären diese wunderschönen, grazilen Geschöpfe, die sich Jahr für Jahr aus der kalten Erde an die Oberfläche kämpften, nicht in der Lage, sich auszudrücken. Die Natur kreiert nicht einfach etwas Schönes, das nutzlos ist.
„Da bist du ja“, sagte er zu dem Stiefmütterchen. „Ich hatte fast mit dir gerechnet“. Die Blume schüttelte ihr Köpfchen. „Mal wieder keine Inspiration?“, fragte sie dann. Er nickte nur. Das Stiefmütterchen runzelte ihre Blüten. „Was dir fehlt, sind die Fertigkeiten eines wahren Schriftstellers. Aber hab‘ keine Sorge, ich werde dir helfen“, sagte sie nach einer kleinen Pause. „Ich bin vielleicht nur eine langweilige Friedhofsblume, aber eines möchte ich dir mit auf den Weg geben: Gedenke deiner Wurzeln! Denn nur, wer sich seiner Vergangenheit besinnt, kann auch in der Zukunft Großes leisten!“. Er staunte nicht schlecht, als er solch weise Worte von einer Blume hörte, doch dann rief er sich in Erinnerung, dass es immer noch der Garten eines Schriftstellers – oder zumindest eines Mannes, der es gerne wäre – war, in der sie gedieh. Der Boden schien jedenfalls eine Prise künstlerischen Düngers zu enthalten.
Eine weitere Stimme erhob sich, und auch damit hatte er gerechnet. „Ich würde gerne einen Ratschlag hinzufügen“, rief die Hortensie und der Strauch raschelte. „Durchhaltevermögen ist das Zauberwort! Nimm dir ein Beispiel an mir!“ Er wusste, was die Pflanze ihm sagen wollte. Die Hortensie war ihm zwar nicht sonderlich sympathisch, doch eines musste man ihr lassen: während die meisten Blumen ihre Blüten nach wenigen Wochen verloren, so blühte die Hortensie noch im Hochsommer und erfüllte seinen Garten mit Farbe.
Plötzlich schepperte es auf der Terrasse. Der Topf mit dem Kaktus, den er erst vor kurzem erstanden hatte, bewegte sich. Dann räusperte sich eine heisere Stimme. „Ich kann mich der Hortensie nur anschließen: ein guter Schriftsteller sollte mit langen Durststrecken umgehen können!“ Die Hortensie klimperte geschmeichelt mit ihren Blättern. Er aber schaute den Kaktus verwundert an. War sein Ratschlag etwa ein versteckter Vorwurf gewesen? Er beschloss, bei elegenheit dessen Erde zu überprüfen und ihn gegebenenfalls öfter zu gießen.
Er streckte sich in seinem Liegestuhl und schaute dann vom Stiefmütterchen hinüber zur Hortensie und zum Kaktus. „Ich danke Euch für eure Hilfe, aber – mit Verlaub klingt das nicht alles etwas genügsam, nach einem guten Verlierer? Wo bleibt denn der Erfolg?“ Ein zustimmendes Gemurmel kam aus dem Boden: „Ganz richtig!“, rief dann das Schneeglöckchen. „Keine falsche Bescheidenheit: man sollte auch mal Erster werden!“, verkündete es mit seinem hellen Stimmchen. Er schmunzelte. Das zarte Pflänzchen war sein heimlicher Liebling im Garten. Die Winter konnten noch so finster und kalt sein: wenn das erste Schneeglöckchen seinen Weg aus der Erde gefunden hatte, wusste er, dass der Frühling nicht mehr fern sein konnte. Er lächelte dem Schneeglöckchen zu. Und da kam es plötzlich: dieses Kribbeln in seinen Händen.
Aufgeregt erhob er sich. „Es geht los!“, rief er glücklich, und wollte gerade ins Haus laufen, doch seine Pflanzen hielten ihn zurück. „Warte!“, rief das Stiefmütterchen. „Wir haben noch etwas für dich!“. Mit einem Mal verloren alle Blumen im Garten gleichzeitig eine ihrer bunten Blüten, sogar der Kaktus ließ einen winzigen Dorn auf den Boden fallen. Sie fügten sich zu einer duftenden Wolke zusammen und landeten in seinen Händen. „Nimm sie mit und denk an unsere Worte!“, sagte die Hortensie. Er nickte lächelnd, dann machte er sich mit seiner Sammlung an Stilblüten auf den Weg in sein Schreibzimmer.
Es war alles unverändert: der Kugelschreiber achtlos hingeworfen, das Blatt Papier unbeschrieben. Lediglich die Katze war aufgestanden und jagte im Garten Schmetterlinge. Er stellte sich in die Mitte des Raumes und drehte sich, erst langsam, dann immer schneller und schneller. Als ihm schwindelig wurde, blieb er stehen und warf er die Blüten beherzt in die Luft. Außer Atem schaute er ihnen zu, wie sie langsam herunterschwebten und auf dem Boden einen winzigen Blütenteppich bildeten.
Er ging zu seinem Schreibtisch und hatte sich kaum hingesetzt, als sie plötzlich wie eine Lawine über ihn hereinbrach: die Inspiration. Sie wollte sich endlich ihren Weg nach draußen bahnen, sich in Form von blauer Tinte an das Blatt Papier schmiegen. Er nahm den Kugelschreiber in die Hand. Klick.
Und begann zu schreiben.
Sie tanzt. Die Musik klingt langsam an, die zarte Melodie hüpft freudig erregt, als würde sie ihrem Liebsten in die Arme springen wollen, aber sie muss sich noch etwas gedulden, bevor es so weit sein kann. Sie steht mit geschlossenen Augen in der Mitte der Bühne und wartet auf ihren Einsatz. Nach dem zwölftaktigen Vorspiel hebt sie vorsichtig und elegant die Arme, erst den rechten, dann den linken, bis sie auf Schulterhöhe sind. Sie steht in der dritten Position, linker Fuß hinten, rechter Fuß vorne, wie ein „T“ angeordnet. Sie zieht ihr rechtes Bein an ihrem linken hoch, das Knie zur Seite ausgerichtet und streckt das Bein, zieht es so weit, bis es fast an ihrem Ohr ist und geht mit dem linken auf die Spitze. Das ist ihre Anfangspose, es kommt den Zuschauern nahezu unpassend vor, wie sie sich langsam in diese Pose bringt, scheinbar weit weg von der Musik. Aber nun passt sie sich der Musik an, sie fängt an nach rechts zu laufen, sie springt hoch, sie dreht sich, sie läuft, aufgeregt wie die Musik, weil sie auf ihren Liebsten wartet. Jede ihrer Bewegungen geprägt von einer unglaublichen Anmut. Sie tanzt, wie sie es nie auch nur zu träumen gewagt hätte. Auf einer großen Bühne, mit tausenden von Zuschauern, die gebannt jedem Schritt, jeder Drehung, jedem Sprung folgen. Doch langsam verändert sich die Stimmung, die freudige Erregung in der Musik weicht einer nervösen brüchigen Unsicherheit, ihr Geliebter lässt sie wohl warten, gefolgt von dramatischen, lauten Tönen, die, wie Donner klingend, das Publikum schaudern lassen. Plötzlich wird der Tänzerin schwarz vor Augen.
Blind. Als hätte man ihr die Augen verbunden, ohne dass sie es gemerkt hat. Sie läuft zögernd durch große leere Räume, die sich fremd anfühlen. Sie spürt eine unheimliche Dunkelheit. Da… Eine Tür. Die Tänzerin läuft auf sie zu, ohne genau zu wissen, was sie erwartet, doch die Tür verschwindet. Auf der anderen Seite nimmt sie Licht wahr, es wirkt, als würden Engel nach ihr rufen. Allerdings kommt ihr das ein wenig sonderbar vor, das kann ja nicht sein, aber trotzdem versucht sie, sich in die Richtung zu bewegen. Doch etwas hält sie davon ab, hinzugehen. Sie spürt eine Berührung, obwohl doch scheinbar niemand hier ist. Zumindest dachte sie das. Sie sieht aber nichts, fühlt sich unsicher, fragt sich, wo sie hier ist, gerade noch auf der Bühne und jetzt hier im Nichts? Es ist ihr ein Rätsel, völlig unverständlich, was gerade passiert ist. Die Person, die mit ihr hier sein muss, ist wieder verschwunden und das Licht scheint ebenfalls wieder erloschen. Wo soll sie hin? Was tut sie hier?
Plötzlich sieht sie wieder, es bleibt dunkel, aber sie erkennt die Silhouetten von Türen, riesige alte Türen und Statuen von komischen Kreaturen, die sie nicht genau identifizieren kann, und eine Treppe, eine riesige, ewig lang scheinende Treppe aus dunklem Marmor, wie auch der Rest des Raums, die mit hübsch ausgeschmücktem schnörkeligem Geländer immer weiter nach oben führt, immer tiefer ins Nichts. Palastartig. Riesig. Beeindruckend. Aber düster. Eine eigenartige, unbeschreiblich schwermütige Aura nimmt den Raum ein. Es wird heller, nicht viel, gerade einmal so viel, dass die Schattenrisse deutlicher werden, sie kann fast Farben erkennen. Irgendetwas macht sie unruhig, sie hört Stimmen, Schreien. Es macht sie unruhig, aber nicht ängstlich, sie hat keine Angst. Sie ist neugierig, schaut sich den eindrucksvollen Raum genauer an. Saugt jedes Detail in sich auf. Sie bewegt sich in Richtung der Treppe, versucht hochzulaufen. Sie läuft und läuft eine Zeit lang weiter, bis sie merkt, dass sie gar nicht vorankommt. Sie läuft, mal schneller, mal langsamer, aber sie bewegt sich nur um die selben drei Stufen. Sie gibt auf, weil sie merkt, dass etwas, viel mehr jemand, sie immer wieder herunterzieht. Langsam, ganz langsam dreht sie sich um, weil sie nicht sicher ist, was sie erwartet. Sie erkennt ihn nicht, als sie sich zu ihm dreht. Denkt nach, sucht in ihrem Kopf nach Antworten, die sich nicht finden lassen. Was sie sieht, ist wunderschön. Er ist schön. Zu schön, um real zu sein. Ein Blick in seine pechschwarzen Augen reicht. Sein hartes Gesicht, die markanten Wangenknochen, volle rote Lippen. Und seine Haare… Eigentlich zu lang für ihren Geschmack, aber diese dunklen zarten Locken… Sie kann nicht glauben, dass ein Mann so schön sein kann. Sie hört leise Stimmen rufen, dass sie weglaufen soll, fliehen vor dem Teufel, solange sie noch kann, solange er sie nicht in seinen Bann gezogen hat. Sie versteht nicht, oder viel mehr, sie will nicht verstehen. Sie ist gefesselt von diesen tiefschwarzen Augen. Es fühlt sich an, als würden Jahre vergehen, die sie einfach so dasteht und sich in seinen Augen verliert. Sie vergisst zu atmen, bis ihr die Luft ausgeht. Er lacht kurz auf. Das schönste, was sie je gehört hat. Er nimmt zärtlich ihren linken Arm mit seiner linken Hand und legt ihn sich auf die Schulter, ihre rechte Hand nimmt er in seine linke und seine rechte Hand platziert er auf dem unteren Teil ihres Schulterblatts. Ehe sie sich versieht, zieht er sie mit sich, dreht sie, führt sie, tanzt mit ihr. Und sie lässt es zu, kann die Augen nicht von ihm lassen. Der Tanz ist stille Poesie. Es fühlt sich an, als hätte sie ihr Leben lang etwas verpasst, dieser Moment gibt ihr so viel mehr, als sie sich je zu wünschen gewagt hat. In diesem Augenblick fühlt sie sich verstanden, ohne auch nur ein einziges Wort gesprochen zu haben. Sie versteht nicht, warum man sie davon abhalten will. „Wenn das die Hölle ist, will ich nirgends sonst sein.“, denkt sie bei sich. Sie weiß, mit wem sie tanzt, sie wusste irgendwo tief in ihrem Innern schon die ganze Zeit, bei wem sie ist. Sie weiß es und es stört sie nicht. Sie will sich verlieren in den Hallen des Todes, will in den Armen des Teufels glücklich werden und wenn es sein muss auch sterben. Wie man so schön sagt, der Teufel kommt nicht im roten Gewand und mit spitzen Hörnern. Er erscheint uns als das, was wir uns am sehnlichsten wünschen…
Routiniert rücke ich meinen grauen, trüben Anzug zurecht, so wie ich es immer schon getan habe. Mit eiligen Schritten verlasse ich den Wohnblock, der monotonen Gesellschaft entgegen. Alles in dieser Stadt ist in einem quadratischen Raster angelegt, immer abwechselnd Häuser aus purem Beton, dann eine rechteckige Straße mit zwei Spuren. Mich ständig rechts haltend reihe ich mich in den Menschenfluss ein, der sich vor mir ausbreitet. Gemeinsam schreiten wir alle voran, im Gleichschritt vorbei an einigen Wachen. Sie stehen dort – still in ihren weißen, schnittigen Rüstungen, der Takt unserer Fußschritte schlägt stets in ihren Herzen. Ihre Helme – schwarz verglast – stehen in absolutem Kontrast zu der sonst sehr hell gehaltenen Uniform. Im Vorbeigehen wage ich es, einen von ihnen zu betrachten. Seine schlichte, aber dennoch gefährlich aussehende Uniform ist das Bollwerk, welches die Außenwelt davon abhält, in seine Emotionen zu spähen. Noch nie habe ich gesehen, was sich hinter einem solchen Helm verbirgt, innerlich hoffe ich dennoch, dass es wenigstens ein Mensch ist.
Hastig laufe ich weiter, denn inzwischen hatte ich ein wenig den Anschluss verloren. Nun teilt sich das Meer an Personen gekonnt in zweierlei Gruppen auf: Die Einen folgen der Straße geradeaus in Richtung weiterer Betonwürfel. Diese beinhalten wohl deren Arbeitsstellen. Meine Gruppe hingegen biegt nach rechts zum Motorenwerk ab. Alle Arbeiter versammeln sich augenblicklich auf dem gigantischen quadratischen Platz. Nun, da wir alle zum Stehen gekommen sind, höre ich rein gar nichts mehr. Keinen Schritt, keine Streitigkeiten und auch kein Gerede, denn geredet wird sowieso nie. Niemand rührt sich, aber alle schauen wie jeden Morgen auf die Werksuhr.
Pünktlich als der Zeiger auf 9 Uhr vormittags schwingt, ertönt der allmorgendliche Signalton. Nach einem so langen Moment der Stille tut das Geräusch beinahe in den Ohren weh, so laut wie es an den Betonwänden widerhallt. Nun ertönt feierlich unsere Nationalhymne, die alle Arbeiter unseres Landes daran erinnern soll, weshalb sie hier sind. Nach all den Jahren der Gefangenschaft habe ich allerdings, wie viele der jungen Männer hier, keine so große Überzeugung von der Qualität unserer Gesellschaft, aber als eingeborene Mitglieder der Arbeiterschicht des Landes müssen wir, das heißt alle Männer zwischen 16 und 35 Jahren, jeden Tag aufs Neue aufstehen und das tun, was uns vorgeschrieben wird. Selbstbestimmung gibt es hier so gut wie nie, alles was ich in meinem Leben je gekannt habe und kennen werde, wurde mir in meiner Jugend von meinen Mentoren beigebracht, die einzigen Menschen außerhalb meiner Familie mit denen ich jemals reden durfte. Aber sie wirkten nur indirekte Propaganda auf mich aus, um mich loyaler und gutgläubiger zu machen. Während die meisten anderen gezwungen patriotisch ihre Hand aufs Herz legten, ließ ich meine trotzdem unten. Ich persönlich fand die Nationalhymne generell immer schon ein wenig unharmonisch. Und ich muss es ja wissen, bevor ich nämlich mit fast 16 Jahren meiner Familie entrissen wurde und zur Arbeit hierhergebracht wurde, habe ich meine Kindheit damals schon sinnvoll genutzt, und mir selber das Klavierspielen anhand eines kleinen Buches mit Grundtechniken beigebracht. Seither also liegt dieser inoffizielle Lebensratgeber, der mich stets begleitet hat, in meiner Wohnung und hilft mir in schlechten Zeiten. Dieses Buch über Musik wirkt Wunder in einem Land, in dem man nicht einmal mit fremden Leuten reden darf.
Endlich spielen die finalen Töne der Hymne. Schnell nehmen alle Arbeiter ihre Hände wieder herunter und wir schauen in Richtung der Türen des Motorenwerks. Unser Firmenchef, ein alter, aber sympathischer Mann, winkt alle Arbeiter herein. Vier Soldaten bewachen ihn derweil.
In der Fabrik gehen alle Personen sortiert an ihren immer gleichen Platz am Fließband, etwas Eintönigeres kann man sich kaum vorstellen. Meine Aufgabe ist es, seit knapp acht Jahren, in jeden der Motoren einen Öldruckausgleicher zu integrieren. Öldruckausgleicher sind wunderbare Geräte. Ihre längliche und handliche Form macht sie sehr praktisch und portabel. Wenn ich einen von ihnen in den Motor einbaue, muss ich zuerst einen langen dünnen Metallstift in ein Loch in der Hülle des Motors einführen, welches den Auslöser innerhalb des Motors mit dem Auslöser an dem Öldruckausgleicher verbindet, damit dieser korrekt funktioniert. Darauffolgend muss ich nur noch zwei Plastikschläuche anschließen und ich bin fertig. Ziemlich einfach und träge der Job, aber immerhin nicht gefährlich.
Vor einer Weile ist mir allerdings etwas sehr Interessantes aufgefallen, als ich einmal aus Versehen einen Öldruckausgleicher in der Tasche meines heruntergekommenen Anzuges liegengelassen hatte und ich diesen mit nach Hause nahm. Dort entdeckte ich, dass Öldruckausgleicher, wenn sie einfach nur so in der Hand betätigt werden, einen trockenen, trompetenartigen Ton ausstoßen. Dieses Phänomen liegt wohl daran, dass der Apparat in diesem Fall ohne Schläuche mit der Umgebungsluft statt mit Öl innerhalb des Motors pumpt. Seit dieser äußerst interessanten Entdeckung lasse ich immer wieder den einen oder anderen Öldruckausgleicher verschwinden und bringe ihn nach Hause. Maximal einen gleichzeitig, versteht sich. In meinem unbenutzten Schrank in meiner kleinen Wohnung häufen sich diese Dinger deswegen in letzter Zeit. Ich plane nämlich etwas Großes, und es ist fast vollendet. Erpicht auf das, was mich heute nach der Arbeit zuhause an Bastelei erwartet, mache ich mich an die Arbeit. Sind sie nicht wunderbar, diese kleinen Maschinchen?
Nach zehn Stunden aufwendiger Fließbandarbeit begebe ich mich zusammen mit allen anderen auf den Rückweg. Da meine Taschen voll mit geklautem Werkzeug sind, fällt es mir schwer, mit den Anderen Schritt zu halten. Als wir schließlich an den Wachsoldaten des heutigen Abends vorbeilaufen, sieht einer von ihnen mich verdächtig genau an. Ich marschiere einfach geradlinig nach Hause, wie ich es immer tue, nur lege ich dabei die Hände auf meine Taschen, damit keines meiner wertvollen Werkzeuge herausfällt. Zuhause angekommen eile ich die Treppen hinauf und beginne sofort zu schrauben. Heute werde ich endlich meinen großen Traum fertigstellen. Ein eigenes Musikinstrument. Ich bin in dem einzigen Raum angekommen, der mir Privatsphäre bietet. Einige Freudentränen entweichen meinen Augen, während ich aus einigen Metallteilen, die ich bereits vor Monaten mitgenommen habe, einen groben Rahmen für das Instrument zusammensetze. Jetzt fehlen nur noch die runden, knopfförmigen Tasten, mit denen ich die Öldruckwechsler betätige und dann sollte es funktionieren. Ich schneide nun noch einige Metallrohre zurecht, die wie kleine Orgelpfeifen den Klang erzeugen werden. Ich schließe die Augen, harre einen Moment aus und öffne sie dann wieder. Vor mir sehe ich etwas, was ich mir nie hätte vorstellen können, doch irgendwie habe ich es nun geschafft. Ich lege meine Finger auf die kalten, metallischen Tasten, die mir nun vorkommen als wären sie aus purem Gold.
Wie ein Kind, welches zum ersten Mal auf einem Klavier herumdrückt, versuche ich, auf meiner Maschine etwas Harmonisches zustande zu bringen, irgendwie mein Gelerntes anzuwenden. Ich habe es geschafft der Stille zu entfliehen.
Ein Windhauch streicht über die Dünen der Wüste und tilgt die Fußspuren der beiden Männer vom jetzt wieder unversehrten Antlitz des Sandes. Die Sonne brennt heiß und strafend vom unendlichen Blau des wolkenlosen Himmels herab. Der Wächter geht voran, den Kopf erhoben, hinter ihm der Gefangene, die Hände mit einem rauen Strick zusammengebunden, die wundgescheuerten Handgelenke kraftlos herabhängend. Seine Füße kann er frei bewegen, doch sein Wächter schenkt ihm nicht einen Blick.
„Du bist ein Feigling.“, sagt der Gefangene, ohne den Kopf zu heben. Der Wächter schweigt. Es entsteht eine Pause. Der Andere versucht es nochmal: „Du willst sein wie ich, deshalb nimmst du mich mit dir.“
Der Wächter setzt still einen Fuß vor den anderen, geht beharrlich voran. Sein Begleiter tritt genau in die Abdrücke, zurück bleibt nur ein einziges Paar Fußspuren, das nach kurzer Zeit wieder vom Wind verwischt wird, sodass nichts mehr von seiner Existenz zeugt. Darum ist er hierhergekommen, der Mann ohne Fesseln. Er hatte gehofft, den Anderen wenigstens für die Zeit der Reise loszuwerden. Vielleicht für immer. Aber er hat sich getäuscht. Der altbekannte Fremde ist schon zu lange bei ihm, er kann ihm nicht entfliehen. In solcherlei Gedanken versunken setzt der Wächter seine Reise fort, der Gefangene folgt ihm wie sein Schatten. Die Sonne rollt mit der langsamen Erhabenheit eines schwindenden Giganten dem Horizont entgegen und der neunte Tag verlischt.
Der Mann ohne Fesseln erwacht und sie ziehen weiter. Als sie den höchsten Punkt einer Düne erreichen, kommt eine Gestalt in Sicht, die sich nur langsam vorwärts bewegt. Sie trägt das klassische Gewand eines Beduinen, ein weißes Tuch, das fast den ganzen Körper verhüllt. Die Spuren seiner Füße werden von den Abdrücken, eines alten, knorrigen Wanderstabes ergänzt. Der Wächter nimmt seinem Gefangenen schweigend die Fesseln ab und lässt sich selbst die Hände zusammenbinden. Bald darauf holen sie den Wanderer ein.
„Sei gegrüßt.“, spricht ihn der von den beiden an, der nun keine Fesseln mehr trägt. „Sei mir ebenso gegrüßt.“, erwidert der Mann, ohne ihnen den Kopf zuzuwenden, mit einer rauen, trockenen Stimme, die klingt, als wäre ihr Besitzer schon sehr alt. Auch von nahem ist kein Flecken Haut zu sehen, selbst die Augen des Wanderers werden vom Stoff beschattet. Da er ihnen jedoch weiterhin nicht das Antlitz zuwendet, sind auch sie kaum zu erkennen.
„Was ist das Ziel deiner Reise?“, fragt ihn der neue Wächter.
„Die Freiheit, mein Freund.“
„Die Freiheit wovon?“
„Von dem Zwang, sich anzupassen. Ich gehe durch die Wüste und bin ganz allein dabei. Und ich kann einfach ich sein. Ich gehe durch die Wüste, um niemals anzukommen, denn ich habe mein Ziel schon erreicht. Völlige Freiheit, Freiheit durch Einsamkeit.“
„Aber jetzt gerade redest du mit mir. Du bist nicht einsam. Macht dich das unfrei?“, wendet der neue Wächter ein.
„Das tut es, und deswegen werden sich jetzt unsere Wege trennen. Lebe wohl, und mögest du finden, was immer du suchst.“ Mit diesen Worten ändert der Wanderer seine Richtung. Als er im Tal hinter der nächsten Düne verschwindet, nimmt der neue Wächter seinem Gefangenen die Fesseln ab und lässt sie sich wieder selbst anlegen. Schweigend gehen sie weiter bis es Nacht wird.
Als der Ungebundene erwacht, klingt in ihm ein leises Sehnen nach jener Freiheit an, die er jedes Mal verliert, wenn er nach dem Schlaf die Augen aufschlägt. Seltsam, es hat sich angefühlt, als sei er allein gewesen, als er schlief. Er richtet sich auf und reibt sich den Schlaf aus den Augen. Keine zwei Schritt von ihm entfernt sitzt der Gefangene, starrt mit finsterem Blick hinab auf seine Fesseln.
Sie setzen ihren Weg fort. Den ganzen Tag über schweigt der Gefesselte, sodass der Wächter ihn fast vergisst. Als es Abend wird, wirft er einen Blick über die Schulter und zuckt zusammen. Er ist immer noch da – direkt hinter ihm. Als würde dieser den Blick spüren, der auf ihm lastet, hebt er kurz den sonst hängenden Kopf und wirft dem Vorderen ein hämisches Grinsen zu. Ich bin noch da, scheint es sagen zu wollen. Ich werde immer da sein, bis an dein Lebensende. Wie von einem plötzlichen Drang gepackt, rennt der Wächter los, immer weiter und weiter. Sein keuchender Atem verliert sich ungehört in den Weiten des unendlichen Sandmeeres. Vielleicht kann ich ihm entkommen, denkt er, und ein wildes, hysterisches Lachen entringt sich seiner trockenen Kehle. Wenn ich nur schnell genug laufe, dann wird er vielleicht sterben, hier draußen in der Wüste. In vollem Lauf dreht er sich um – die Fläche hinter ihm ist menschenleer, von seinem Verfolger keine Spur. Vor ihm tut sich nun ein steiler, sandiger Abhang auf. Er sieht es zu spät, tritt ins Leere, fällt, überschlägt sich mehrmals. Am Fuß der Düne angekommen spuckt er Sand aus. Als er den Kopf hebt, legt sich ein rauer Strick um seinen Hals. „Mach mich los,“, zischt ihm der Gefangene von hinten ins Ohr, „binde den Strick auf,sonst töte ich dich.“ Der Wächter kann den heißen, trockenen Atem seines Gegners spüren.
„Ich hasse dich.“, krächzt der Wächter, soweit der Strick das zulässt, der ihm nun zusehends die Luft abschnürt. „Nicht weit von hier in der Oase lagert eine Karawane.“, erwidert der Andere drängend. „Du hast sie auch kurz gesehen bei deinem Sturz, befrei mich. Jetzt!“ Der Wächter gibt auf und bindet ihn los.
Kurze Zeit später erreichen sie die Oase. Einige Kamele sind an Palmen gebunden und trinken aus einem steinernen Becken. Männer haben ein Lagerfeuer entzündet und sitzen grölend und lachend darum herum. Der neue Wächter zieht den nun Gefesselten mit sich und nähert sich dem Feuer. „Kann ich mich zu euch setzen?“, ruft er von weitem.
„Gegen ein geringes Entgelt…“, kommt es unter Gelächter zurück. Der Wächter bleibt verwirrt stehen.
„Ich mach´ doch nur Spaß!“, lacht der Wortführer.„Komm, setz dich zu uns, du kannst etwas von unserem Tee haben.“ Die Männer machen eine Platz am Feuer frei und reichen ihm einen kleine Schale, in der grünlicher Minztee duftet. Der Wortführer der Gruppe, wahrscheinlich der Händler, dessen Waren die Karawane transportiert, lächelt versonnen. Er stützt die Arme hinter sich auf den Boden und lehnt sich zurück, legt den Kopf in den Nacken und betrachtet nachdenklich den Sternenhimmel.
„Diese Reisen durch die Wüste dauern viel zu lange.“, sagt er wie zu sich selbst. „Ich vermisse meine Frau und meinen Sohn.“ Er wendet sich dem Wächter zu. „Bist du verheiratet?“ Der Gefangene will etwas sagen, doch der Wächter schlägt ihm mit brutaler Gewalt gegen den Kehlkopf, sodass er hustend auf den Rücken fällt. Der Karawanenführer scheint davon nichts zu bemerken. „Nein, ich bin nicht verheiratet.“, erklärt der Wächter schlicht, als wäre nichts geschehen. Eine Pause entsteht. Dann erhebt sich der Karawanenführer und holt aus dem Gepäck der Gruppe einen aus dünnen Holzstäben gefertigten Käfig. Mit stolzem Blick kehrt er zurück ans Feuer. Im Käfig sitzt ein kleiner brauner Vogel, der sich mit seinen dunklen Augen müde und irgendwie erschöpft umsieht. „Den habe ich auf dem Markt gekauft, bevor wir aufgebrochen sind.“, erklärt er mit wichtiger Miene. „Ich nehme auf jede meiner Reisen so einen Vogel mit. Bis ich diese Oase erreiche, leisten sie mir Gesellschaft, und dann lasse ich sie frei, immer hier.“
„Es ist edel, einem Geschöpf der Luft die Freiheit zu schenken.“, sagt der Wächter, aber es klingt irgendwie hölzern, man kann hören, dass er nicht versteht, warum der Karawanenführer das tut. Auch der Gefangene versteht es nicht, aber aus einem anderen Grund. Ist ihm nicht klar, dass der Mann, bei dem er die Vögel kauft, sie nur fängt, um mit ihnen Geschäfte zu machen? Würde er sie nicht kaufen, würde der Vogelhändler auch keine weiteren Tiere fangen… Die anderen Männer am Feuer sind inzwischen verstummt. Sie scheinen schon zu wissen, was gleich geschieht, anscheinend begleiten sie ihn nicht zum ersten Mal. Der Karawanenführer sieht sich um und tut so, als würde er auf absolute Stille warten, dabei ist die längst eingekehrt. Dann öffnet er mit großer Geste den Käfig. Der Vogel bleibt in seinem Käfig und betrachtet mit schief gelegtem Kopf scheinbar verwundert einige Zeit die Öffnung. Dann durchläuft ihn ein Zittern, er versucht die Flügel zu spreizen, doch der Käfig ist zu eng. Als das Tier ihn verlässt, fällt es, noch ungläubig ob der neugewonnen Freiheit, fast zu Boden. Im letzten Moment fängt es sich jedoch und flattert, zwar etwas unsicher aber doch zielstrebig, zu einer Palme. Der Vogel lässt sich darauf nieder, um auf die Gruppe herabzublicken, deren Gesichter ihm andächtig gefolgt sind. Die Stille zerbricht, als der Anführer der Karawane seufzt:
„Der Händler hat mir versichert, dass diese Tiere mehrere Jahre alt werden, und ich glaube nicht, dass sie in die Wüste fliehen. Ich verstehe nur nicht, warum mir noch nie einer von ihnen wiederbegegnet ist. Jedes Mal, wenn ich hier bin, ist der Ort verlassen.“ Der Wächter weiß keine Antwort darauf. Bald darauf legen sich die Männer der Karawane auf den Boden, wo auch immer sie gerade sitzen, und fallen in tiefen Schlaf. Als sich kurz darauf auch der Wächter und der Gefangene hinlegen, spürt dieser etwas Spitzes in seiner Seite. Irritiert setzt er sich
wieder auf und sucht den Boden ab. Vogelknochen. Sie können hier nicht leben, wird ihm da klar. Er bringt alle drei Monate einen Vogel hierher – die Einsamkeit bringt sie um!
Er fühlt sich, als hätte ihm jemand den Boden unter den Füßen weggerissen. Als er nach einiger Zeit in das Reich der Träume hinübergleitet, schenkt es ihm nicht die Erholung, nach der er sich sehnt:
Er geht wieder neben dem alten Wanderer her, dem er am Tag zuvor begegnet ist, und von seinem Gefangenen, der in der Oase schlafend neben ihm liegt und sich als Wächter aufspielt, ist weit und breit nichts zu sehen. Und der Alte wendet ihm noch immer nicht das Gesicht zu, aber er spricht mit ihm. „Bleib nur lange genug hier draußen, Zerrissener, und dann wirst du sein wie ich. Es gibt dann weder dich, noch den, den du mit dir zu führen glaubst. Doch die Wüste wird dich nicht retten. Hier draußen findest du nur meine Freiheit: Den Tod!“ Und mit diesem
Ausruf sieht er ihn endlich an und ein Windstoß fährt dem Wanderer entgegen und reißt ihm die Tücher vom Haupt und dem Träumenden starrt ein grinsender Totenschädel ins Gesicht und der Wächter ohne den Gefangenen schreit und schreit und schreit. Und da wird die Wüste dunkel, als sich der Leib eines riesigen Vogels vor die Sonne schiebt und als der Vogel landet und seine mächtigen Krallen in den Boden gräbt, spritzt Sand gen Himmel wie eine grausame Nachahmung von Wasser, so wie Einsamkeit ein Zerrbild ist von Freiheit und Freiheit ein Zerrbild von Glück. Und der Mann weicht zurück und strauchelt, fällt auf den Rücken, ist dem Vogel wehrlos ausgeliefert, in dessen pechschwarzen Augen so gar nichts Lebendiges mehr schimmert und er erkennt, dass auf dem Rücken des Vogels sein Gefangener thront, die Fesseln zerrissen, die Wangen gerötet vom Fieber des Übermuts und er verspottet den am Boden Liegenden und als der Kopf des Vogels auf ihn herabstößt, erwacht er endlich.
Jetzt gibt es kein Zögern mehr, keine Flucht, keine Suche nach dem, was er doch schon längst gefunden hat; er weiß jetzt, was er tun muss. Still steigt er über die Körper der Schlafenden, verlässt die Oase, verschwendet keinen Gedanken an den Anderen oder an die Fesseln, die noch immer in seine Handgelenke schneiden. Nach kurzer Zeit holt ihn der Wächter ein, nimmt ihm ohne ein Wort die Fesseln ab und lässt sie sich selbst anlegen. Der Mann, der schon am Anfang der Wächter war, der von Anfang an der Wächter hätte bleiben sollen, hat jetzt wieder die Kontrolle. Als die Sonne aufgeht, läuft er unbeirrt weiter, der Gefangene folgt ihm, tritt in seine Fußspuren, wie er es schon immer getan hat. Als der nächste Abend hereinbricht und der Wächter keine Anstalten macht, langsamer zu werden, beginnt der Gefangene, zu jammern. Der Wächter ignoriert ihn und erhöht sein Tempo noch. Doch etwas ist jetzt anders: Zum ersten Mal, seit er seine Reise begonnen hat, läuft er nicht weg; er läuft auf etwas zu: seine Heimat. Die Sonne hat sich noch nicht über den Horizont erhoben, doch sendet sie bereits ihre ersten Strahlen voraus, bringt die Sterne zum Verblassen und streichelt sanft die Dächer der Stadt, die sich nun vor den beiden Männern erstreckt. Der Anblick schenkt dem Wächter neue Kraft. Er vergisst seine zerschundenen Füße, die ihn ohne Pause durch den ganzen letzten Tag und die Nacht getragen haben. Die bleierne Müdigkeit, die in den letzten Stunden an ihm gezehrt hat, fällt von ihm ab wie eine Decke, wenn man sich eilig aus dem Bett erhebt. Neue Kraft beflügelt ihn, und der Gefangene muss sich bemühen, um mit ihm Schritt zu halten. Sie passieren ungehindert die Stadttore. Um diese Zeit ist noch niemand auf den Straßen. In seiner Eile, sein Haus zu erreichen, sieht der Wächter nicht, wie sich der Gefangene hinter ihm die Hände massiert und die Finger dehnt. Auch seine bösartigen Blicke bemerkt er nicht.
Sie sind da. Sein Haus sieht aus wie eines von vielen, mit seinen schlichten Lehmwänden und den fensterlosen Löchern, die in den Wänden klaffen, aber es ist der schönste Platz auf der Welt, das hat er jetzt verstanden. Er fühlt sich wie ein neuer Mensch, sieht alles mit anderen Augen. Bevor er die Hand nach dem Türriegel ausstreckt, hält er kurz inne, um sich den Staub aus dem Gesicht zu wischen. Andächtig öffnet er. Drinnen, am Esstisch, sitzt eine Frau – seine Frau. Sie trägt ein schlichtes, helles Leinenkleid, die langen Haare fallen ihr offen über die Schultern. Ihre Augen strahlen, als sie aufblickt. Ihre Blicke treffen sich für einen Moment. „…hast du gefunden, was du gesucht hast?“, fragt sie. Diesen Augenblick nutzt der Gefangene, um von hinten die Hände mit den Fesseln um den Hals des Wächters zu legen und ihm die Luft abzuschneiden. Mit all seiner Kraft reißt er an dem Strick, versucht, ihn so tief in den Hals seines Peinigers zu zwingen wie irgend möglich. Der Wächter legt ruhig seine Hände um die Handgelenke des Angreifers, den auf einmal alle Kraft verlässt, und nimmt sie weg von seinem Hals. Und dann ist der Gefangene fort. Er wird nun nicht mehr gebraucht.
Der Erlöste sieht seiner Frau lange in die Augen. Dann lächelt er.
„Das habe ich.“
Die vier jungen Literaturpreisträger 2018: Lasse Huber-Saffer, Carmen Mahler, Laurin Lenschow und Karina Buozys.
KN Artikel vom Samstag, 31.03.2018
Von Sabine Tholund
Foto: Michael Kaniecki
Zum zweiten Mal hat der Freundeskreis des Literaturhauses den Jungen Literaturpreis Schleswig-Holstein an junge Autoren im Alter von 14 bis 20 Jahren vergeben . Aus 32 Einsendungen wählte die fünfköpfige Jury vier Preisträger aus – der 3. Platz wurde gleich doppelt zuerkannt.
„In ihrer Art sind die eingesendeten Texte sehr vielfältig“, so die Initiatorin des Preises Gisela Beissenhirtz. „Sie erzählen von Einsamkeit, Freundschaft, Ängsten oder Liebe und reichen von der netten Geschichte zum Märchen bis zur Horror-Story.“
Lasse Huber-Saffer (14) aus Pinneberg wurde für seinen Text „Druckausgleich“ mit dem 3. Platz belohnt. In einer Stadt „aus purem Beton“, deren Kälte und Uniformität an Orwells „1984“ erinnert, entdeckt ein Jugendlicher, wie er sich den Traum vom eigenen Musikinstrument erfüllen und „der Stille entfliehen“ kann. Nachdenklich ist auch der Text „Freiheit“ von Laurin Lenschow (16) aus Kronshagen, der sich mit Lasse den 3. Platz teilt. In seiner parabelhaften Geschichte, die die Frage nach einer erfüllten individuellen Freiheit stellt, entwirft er eine Welt abseits der Zivilisation. Bilderstark und atmosphärisch ist diese Geschichte, der die Jury ein „stilistisch hohes Niveau“ bescheinigt.
Eindrucksvoll durchkomponiert ist der poetische Text „Tanz mit dem Teufel“ von Karina Buozys (18), der geprägt ist vom Rhythmus und der Leichtigkeit eines imaginierten Tanzes. Dem Schreiben ist die 18-Jährigen seit ihrer Teilnahme an einem Poetry Slam in ihrer Schule in Kronshagen treu geblieben – eine gute Entscheidung, wie der 2. Platz beweist.
Mit klarer Mehrheit wählte die Jury Carmen Mahlers „Stilblüten“ auf den ersten Platz. Die 18-Jährige aus Bargteheide hat ein charmantes modernes Märchen voller gewitzter Wortspiele verfasst, das von einem Schriftsteller mit Schreibblockade erzählt.
Verwirrt reisten wir an, das Handbuch der vielen Veranstaltungen auf den ersten Blick unbrauchbar, stimmte aber erwartungsfroh. Also erst einmal durch die Hallen streifen, aufsammeln, was am Wegesrand liegt. Die Bücher wehren sich erfolgreich gegen das industrielle Ambiente der Hallen. Man verweilt, zunächst vor dem einladenden Blauen Sofa am Eingang der Glashalle, und man merkt: Hier werden nicht die üblichen Debatten geführt, hier herrscht der Diskurs, richtig breit. Weitergehen, man schnappt hier und da etwas auf und schon werden die Koordinaten, die durch tägliches Zeitunglesen, Radiohören und Fernsehen manchmal arg verschoben werden, wieder zurechtgerückt. Ein Grundsatz schält sich heraus: Wenn der Mainstream zu eng wird, werden die Ränder breiter (Schlink). So öffnen sich Wahrnehmungen, man atmet freier. Und man findet Perlen, zufällig, zugegebenermaßen, z. B. den „Prix des Lycéens Allemands“. Steht gar nicht im Programm, aber eine Gelegenheit, mit Freude zu sehen, mit welchem Enthusiasmus sich junge Leute der Literatur zuwenden – und dann noch auf Französisch! Überhaupt, die jungen Leute! Ganze Kindergartengruppen sieht man mit eifrigen Gesichtern durch die Gänge streifen.
Man kennt sich jetzt aus, der nächste Tag wird mit Plänen gespickt. Ein paar Beispiele: Bernhard Schlink (Olga), Åsne Seierstad (Einer von uns), Christoph Ransmayr (TRADUKI), Joschka Fischer (Der Abstieg des Westens) oder Gretchen Dutschke (1968. Worauf wir stolz sein können). Aus dem „Abstieg“ machte der Moderator schlichtweg einen „Untergang“. Ein Lehrbeispiel über Phantasien aus dem Nichts.
Nachlese: Auf dem Wochenmarkt am Montag erzählte ich von Leipzig. „Aber da waren doch wegen des Schnees nur halb so viele Leute wie sonst!“ „Stirbt das Buch im Zeitalter der Elektronik nicht aus?“ In den Zeitungen las man vom Lesen. Aber man las auch von Auseinandersetzungen am Stand von Compact. Andererseits: Ich kam dreimal dort vorbei an den beiden Tagen und sah kaum einen Menschen dort. Überhaupt: Welche Aufmerksamkeit verdienen solche und ähnliche Auseinandersetzungen? Ab wann ist die Aufmerksamkeit dafür reine Ablenkung vom Wesentlichen? Ich las heute früh eine Analyse in der Neuen Zürcher Zeitung, die darin fokussierte, dass Trump seinen Wahlkampf vor allem durch gekonnte Ablenkungen vom Wesentlichen gewonnen hat.
Auf zur nächsten Leipziger Buchmesse!
Edgar Fuhrken, 23.03.2018
Und Teilnehmerin B.D. schreibt:
Mir hat die Reise ausgesprochen gut gefallen. Ich weiß es sehr zu schätzen, dass ich mich im Vorfeld nicht um die Planung kümmern musste – das hat für mich einen hohen Aufforderungscharakter. Die Gestaltung in Leipzig hat mir ebenfalls gefallen: viel Raum für individuelle Aktivitäten, je nach Wunsch in Kleingruppen und ein „kleines Rahmenprogramm“, was gut gewählt war.
Fazit: Rundherum ein gelungenes Projekt!
Vielen Dank an Ideengeber und Organisatoren.
Sie stehen abends im Literaturhaus an der Kasse oder am Tresen, stellen die Stühle für die Veranstaltung, sind vormittags Vorleser – und zum traditionellen Literaturfest im Sommer übernehmen sie auch das Catering: Der Freundeskreis macht im Literaturhaus im Alten Botanischen Garten vieles möglich.
„Das ist ein Programm, für das wir mit Freude einstehen“, sagt Ute Zopf, pensionierte Lehrerin und seit 2016 Erste Vorsitzende des Freundeskreises. „Ich war schon immer eine Leseratte, und ich finde eine Institution wie das Literaturhaus wichtig. Das ist ein Kleinod und fester Bestandteil der Kulturszene in der Stadt und in Schleswig-Holstein.“
1998 gründeten rund 50 Literaturinteressierte den Freundeskreis, der dem beständig an der Existenzgrenze operierenden Literaturhaus zur Seite stehen wollte. 20 Jahre später zählt der Freundeskreis rund 140 Mitglieder, deren Beiträge auch in das Festival des Debütromans und die Liliencron-Dozentur einfließen. „Unsere Vorgänger haben viel aufgebaut und der Verein hat sich beständig und lebendig weiter entwickelt“, so Ute Zopf, die im Vorstand von Schatzmeister Gisbert Osmy und Karin Bündgens als zweite Vorsitzende unterstützt wird. Für Gisbert Osmy war 2009 eine Lesung von Peter Stamm das Initiationserlebnis: „Das hat mich so unmittelbar hineingezogen, dass ich direkt in den Freundeskreis eingetreten bin“, sagt der ehemalige Telekom-Manager, der auch mal Hausmeisterarbeiten übernimmt, wenn Not am Mann ist. Karin Bündgens, wie Zopf ehemalige Lehrerin, mag die Atmosphäre im Haus: „Ich finde es schön, dass man auf diese Weise von den Autoren soviel mitbekommt.“
Als sehr wertvoll und eine große Hilfe empfindet Literaturhaus-Leiter Wolfgang Sandfuchs die Arbeit des Freundeskreises, der besonders das junge Literaturhaus unterstützt. „Wir sehen uns als Ermöglicher“, sagt Ute Zopf, „weil so ein Haus, das Literatur unabhängig von Buchhandlungen, Verlagen und geschäftlichem Erfolg fördert und präsentiert, das ehrenamtliche Engagement braucht.“ Sie verfolgt mit ihren Kollegen aber auch eigene Ideen. Darunter den Jungen Literaturpreis für den Nachwuchs von 14 bis 20 Jahren, den der Freundeskreis vor zwei Jahren ins Leben gerufen hat und der nun in die zweite Runde geht.
Ein weiterer gelungener Freundeskreisabend am Buß- und Bettag 2017: herzlichen Dank an Frau Jenne, Altenholz, Frau Lalowski, Kiel-Wik, Herrn Mücke, Wilhelmplatz,
für die sorgfältig beschriebenen und damit nachvollziehbaren Buchempfehlungen. Für alle, die keine Bücherliste bekommen haben – ich habe sie angehängt!
Für das Gelingen des Abends – Bücherliste erstellen, Dekoration, Raum auf- und abbauen, Getränkeverkauf, Büfett – haben wiederum viele Mitglieder des Freundeskreises gesorgt und es ist schön, die Unterstützung so vieler Hände (und Portemonnaies für die Zutaten) zu erfahren. Namentlich – und jetzt sei niemand vergessen: Heike Bunzen, Brigitte Drews, Nana Fahl, Angelika Faust, Illa Feldmann, Ulli Gehl, Regina Gehrts, Irene Jahnke, Gisbert Osmy, Stephan Ratschow, Waltraut Ruppel, Bianca Schöning. DANKE!
Sobald der Offene Kanal eine DVD erstellt hat – das, was der Erfahrung nach am längsten dauert – , einer von uns entschieden hat, welche Minuten zu sehen sein sollen, und der Film dann durch ‚Profis‘ geschnitten worden ist, wird ein kleines Filmchen folgen, aber – vor dem Frühjahr ward dat nix!
Freundeskreisabend FLSH 2017 – Buchvorstellungen Kieler Buchhandlungen-22.11.2017, 19 Uhr Literaturhaus Kiel, Schwanenweg 13, erstellt von G. Osmy
Mitwirkende: Buchhandlung im Wohld, Nina Jenne, Wiker Buchhandlung, Meike Lalowski, Zapata, Harald Mücke
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Buchhandlung im Wohld, Nina Jenne, Altenholzer Str. 5, 24161 Altenholz, Tel. 97991474
1. Amy Liptrot: Nachtlichter, btb
Das Debüt der 31-jährigen Amy Liptrot ist sowohl autobiographischer Roman als auch eine faszinierende Beschreibung der rauen Orkney-Inseln.
2. Leïla Slimani: Dann schlaf auch du, Luchterhand
Myriam und Paul wollen das perfekte Paar sein, Beruf und Familie vereinen und sich dabei nicht selbst verlieren. Da kommt ihnen die Nanny Louise gerade recht- doch wie sehr können sie ihr vertrauen?
3. Cara Nicoletti: Yummi books, Suhrkamp
In 50 Rezepten durch die Weltliteratur
4. Mariana Leky: Was man von hier aus sehen kann, Dumont
In einem kleinen Dorf im Westerwald kann die schrullige Selma scheinbar den Tod vorhersehen. Wenn ihr im Traum ein Okapi erscheint, wird am nächsten Tag jemand sterben, nur wer mag es sein?
5. William Shaw: Der gute Mörder, Suhrkamp
Der Police Sergeant und passionierte Vogelbeobachter William South hat zwei gute Gründe, wieso er nicht in einem Mordfall ermitteln will, der seinen Heimatort erschüttert. Die Zugvögel machen gerade Zwischenhalt an der Küste von Kent. Und er ist selbst ein Mörder.
6. Gräfin Schönfeld: Astrid Lindgren, Ebersbach & Simon, 16,80€
Wen haben sie nicht durch die Kindheit begleitet: Pippi und Michel, Rasmus und Ronja, und allen voran die Kinder aus Bullerbü. Gräfin Schönfeld setzt ihrer Freundin Astrid Lindgren ein kleines feines Denkmal mit bisher noch nicht bekannten Details aus dem Leben einer Schriftstellerin, die wie keine die Kinderliteratur mitbestimmt hat: eine kleine feine Liebeserklärung …
7. Gael Faye: Kleines Land, Piper, 20,00€
Ein afrikanischer Bürgerkrieg zwingt den französischen Vater, mit dem 12jährigen Gabriel und seiner kleinen Schwester nach Frankreich zu fliehen. 20 Jahre später macht der junge Mann sich auf nach Burundi, dem Land seiner Mutter und seiner Kindheit. Er findet im (nicht sentimentalen aber sehr poetischen) Rückblick eine Idylle und ihren Verlust. Wir erleben im Lesen eine Nähe zu uns bisher doch so scheinbar beruhigend fernen Erfahrungen, obwohl das globale Leben uns jetzt massiv einholt … Gael Faye nimmt uns nimmt in seine Erinnerungen, voller Sehnsucht und Freude, voller Traurigkeit und einem unbändigen Lebenswillen, der nicht zuletzt in seiner Liebe zur Literatur seine Kraft findet.
8. Elke Heidenreich: Alles kein Zufall, Fischer, 9,99€
Lurchi schmückt sich mit einer Perlenkette: Elke Heidenreich öffnet ihren Zettelkasten und lässt uns Seite für Seite teilnehmen an Einfällen im besten Sinne des Wortes, an Gedankensplittern, mal kürzer mal länger aber wie der Alltag sie so einspielt … Mal scheinbar banal aber dann doch nicht, mal zum Lachen, mal zum Schlucken … wirklich kleine Perlen wie zum Beispiel das Anprobieren von Salamanderschuhen mit dem durchleuchtenden „Messapparat“ und dann der literarischen Belohnung eines Lurchiheftes eben … im Kleinen großartig …
9. Michael Kumpfmüller: Die Herrlichkeit des Lebens, Fischer, 9,99€
Franz Kafka erlebt in seinem letzten Lebensjahr eine märchenhafte Liebesgeschichte und Michael Kumpfmüller erlebt sie für uns nach. Eine Annäherung auf höchstem Niveau, gleichermaßen diskret wie innig, perfekt durchkomponiert in drei Sätzen. Kafkakenner und -liebhaber können einfach genießen, und wer sich bisher gedrückt hat wird hoffentlich neugierig auf diesen Jahrhundertschriftsteller. Und auch egal: wir müssen Kafka weder mögen noch kennen, diese Erzählung weist weit über den Schriftsteller und seine Dora Diamant hinaus in eine Liebe, von der wir uns alle wünschen, dass sie so geschähe…
10. David Lagercrantz: Verschwörung, Heyne, 9,99€
Darf man oder darf man nicht: einfach weiterschreiben, wenn der Autor schon vor der Veröffentlichung seiner Super-Bestseller-Trilogie längst gestorben war und die legalen und nichtlegalen Erben sich nach dem Erfolg tüchtig streiten!?! Ein Krimi für sich in der bunten Welt der Krimiliteratur, der Verleger und Buchhändler. Jedenfalls sind sie wieder da: Lisbet Salander und Mikael Blomkvist, jetzt auch im Taschenbuch und ich möchte Sie einladen auf eine Reise durch meine Gewissensbisse …
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Zapata, Harald Mücke, Wilhelmplatz 6, 24116 Kiel, Tel. 93639
11. Klaus Cäsar Zehrer: Das Genie, Diogenes, 25,00€
William, Sohn eines sehr ehrgeizigen Psychologen und Harvard-Absolventen, soll zum Genie erzogen werden. Tatsächlich gelingt dieses Unternehmen und er wird als „Wunderjunge“ bekannt. Doch William selbst sehnt sich als Erwachsener lediglich nach einem selbstbestimmten Leben. Das bedeutet allerdings mit den Erwartungen anderer an seine Person zu brechen. Wird er es schaffen ein Dasein nach den eigenen Vorstellungen aufzubauen?
12. Brigitte Glaser: Bühlerhöhe, Ullstein, 11,00€
Schauplatz ist das Nobelhotel „Bühlerhöhe“. Dort soll Rosa Silbermann, die für den israelischen Geheimdienst arbeitet, Konrad Adenauer schützen. Die Hausdame, Sophie Reisacher, würde für den gesellschaftlichen Aufstieg alles geben. Zwei Frauen mit Vergangenheit und einem geheimen Auftrag.
13. Jérôme Leroy: Der Block, Nautilus, 19,90€
Der gesamte Handlungsverlauf dieser Geschichte ereignet sich innerhalb einer einzigen Nacht, in der der rechtsextreme patriotische Block kurz vor dem Regierungseintritt steht. Antoine und Stanko sind seit einer Ewigkeit befreundet. Beide gehören dem Block an, doch Stanko ist der Partei inzwischen ein Dorn im Auge. Er ist zu sehr in die internen Geheimnisse involviert was die neue Ehrenhaftigkeit des Blocks gefährdet. Wird Antoine seinem alten Freund beistehen oder sich dem Willen seiner politischen Mitstreiter beugen?
14. Burkhard Spinnen: Das Buch, Schöffling & Co, 15,00€
Burkhard Spinnen, Autor und begeisteter Leser, widmet sein Werk dem gedruckten Buch. Er macht deutlich wie stark Literaturgüter uns beeinflussen und erinnert welch‘ hohen Stellenwert dieses tatsächlich in der Gesellschaft einnimmt. Es ist eine persönliche Hommage an das Buch, dessen und unsere Zukunft.
15. Felix Huby: Heimatjahre, Fischer, 10,99€
Der Autor, Felix Huby, lässt seinen Protagonisten, Christian Ebinger, in Tübingen drei Jahrzehnte deutsche Geschichte durchleben. Es kommt zu Begegnungen mit Kriegsheimkehrern, Bekehrten und Mitläufern, die sich wie ein großes Abenteuer anfühlen.
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